Sonntag, 16. August 2015
Ich blogge gerade tatsächlich mit dem Smartphone. Ist nicht zu empfehlen, dauert ewig und um diese Uhrzeit trifft man die Tasten auch nicht mehr so präzise wie sonst. Da ich aber nicht Zuhause nächtige, sondern bei einer Freundin im Bett gelandet bin, bleibt mir nichts anderes übrig.

Heute war ich seit längerer Zeit mal wieder auf den dörflichen Festlichkeiten in meiner "Heimatstadt" unterwegs. Heimatstadt in Anführungszeichen, weil ich heute nicht mehr als 60 Kilometer davon entfernt wohne, es im Gegensatz zu der Großstadt in der ich jetzt wohne allerdings ziemlich ziemlich klein ist. Hier kennt noch jeder jeden. Ich habe mir meine Lieblingsfreundin aus Schultagen (hört sich an als ob das alles Jahrzehnte zurück liegt, dabei ist der Schulabschluss gerade ein Jahr her) geschnappt und wir sind zusammen auf das Dorffest gegangen. Es war ziemlich verrückt, weil sich dort alle Altersgruppen auf führen wie 15. Inklusive uns. Wodka gemischt mit Energy, in der großen Wasserflasche in der Tasche dabei, tanzen und kichern zu peinlicher Volksmusik und trinken bis zum umfallen. Bis auf das trinken, bieten solche Feste auch keinerlei Reiz. 1000 alte Gesichter getroffen. Ein paar haben von Dritten von der Krankheit gehört und fragen vorsichtig nach.

Irgendwann lässt der Alkohol nach und es wird lahm. Wir fahren nach Hause. Dort liegen wir zusammen im Garten ihrer Großeltern schauen uns den nächtlichen Himmel an, trinken und philosophieren. Nach einiger Zeit ist ein gewisser Pegel wieder vorhanden. Wir werden albern, rollen über die Wiese wie zwei kleine Kinder. Liegen aufeinander, küssen uns. Wir sind zu betrunken, als das wir merken was wir da gerade tun. Unvermittelt fasst sie mir zwischen die Beine. Ich ihr ebenfalls. Weiter kommen wir nicht, mich erfasst aus heiterem Himmel ein starkes stechen im Magen Bereich, ich erbreche Blut - mir wird schwindelig und schwarz vor Augen. Als ich kurz später wieder klar bin, liegt mein Kopf auf dem Schoß der Mutter meiner Freundin. Sie kühlt mir die Stirn und guckt mich besorgt an:
"Ich wusste nicht wie ich reagieren sollte. Muss ich deswegen einen Krankenwagen rufen? Das ganze Blut."

Sie weiß um mich und die Krankheit, wir haben oft darüber geredet. Deshalb ist sie wohl auch halbwegs beruhigt als ich ihr sage, dass dies nicht zum ersten mal vorgekommen ist.

Nachdem sie mir saubere Klamotten gegeben hat, lege ich mich zu meiner Freundin ins Bett, die schon tief und fest schläft. Ihre Mutter kommt rein um mir eine gute Nacht zu wünschen, streicht mir anschließend einmal über den Kopf und sagt:

"Kleine Maus, bitte bleib noch lange bei uns ok? Ich hab dich lieb"




Freitag, 14. August 2015
Ich habe es schon oft probiert, jetzt versuche ich die Angelegenheit mal offen und ehrlich anzugehen. Schmutzige Details, die sonst lieber hinter verschlossener Türe ruhen.
Die Kindheit war so ne Sache: Augenscheinlich eine Gute, aber hinter der Fassade der Horror schlechthin. Die Eltern die sich nicht liebten - der Alte, der abends nach der Arbeit nach Hause kommt, sich mit seinem Bier im Keller verzieht und nur hochkommt um was zu fressen oder die Alte in den Arsch zu ficken. Eigentlich ein super lieber, wirklich. Aber halt nie da - als Vaterfigur zwar regestriert,aber mehr auch nicht. Die Alte: Frustiert und gelangweilt, mit der Priotiät nach außen hin wie eine Vorzeigefamily zu wirken. Ein Brunch nach dem nächsten,Kinder gestriegelt und frisiert vorschicken an die Nachbarn Kuchen verteilen und so ein Schrott. Hinter den vier Wänden: aggressiv,gewalttätig. Ich kann gar nicht sagen WIE oft ich Angst hatte.
Es ergaben sich nicht zu selten Situationen, die so abstrus klingen, dass man sie einer Frau gar nicht zutrauen würde. Um ein paar wenige Beispiele zu nennen, die meiner Verdrängungstaktik nicht folgen konnten:

"Es war ein Wochentag. Das weiß ich noch, weil ich dringend meine Hausaufgaben in Deutsch machen musste. Wir mussten Diktate üben. 4. Klasse oder so ähnlich. Ich sitze auf meinem Bett. Die Alte kommt rein,wütend. Ich sehe es sofor. Die Telefonrechnung ist da. 80 Euro mehr als es eigentlich sein sollten. Natürlich ist sie schuld, dass wissen wir alle - weil niemand außer ihr unser Telefon benutzt. Aber wer es war ist eigentlich auch egal, weil sie nie schuld ist. Weil ich es immer bin. Aus Erfahrung gehe ich schon einmal in Abwehrhaltung. Wie eigentlich immer wenn sie rein kommt. Ich bin zum ängstlichen verstörten Kind mutiert. Ich springe auf, verschwinde schnell im 90° Winkel meiner Zimmerecke, ziehe die Beine an und halte die Arme abwehrend vor mein Gesicht. Wie immer. Natürlich habe ich recht und die Alte hat mal wieder Aggressionen zum abbauen und jetzt mal ernsthaft, wer eignet sich dazu besser als die eigene Tochter. Sie schreit rum, schlägt mit ihren Fäusten nach mir. Sie sieht krank aus, ekelhaft und nicht mehr fraulich. Sie wird zum Tier, ihr Gesicht rot, die Stimme schon heiser, die Spucke läuft ihr aus dem Mund.
"Du dreckige Hure, du bist an allem Schuld."
"Ja Mama" gibt mein junges ich zurück, wohlwissend das widerspruch nichts bringt.
"Wegen dir musste ich meinen Job aufgeben, nur weil du geboren bist"
Es ist immer die selbe Laier,ich bin Schuld das ihr Leben verkorkst ist.
Sie kreischt und trampelt auf den Boden,ich habe Angst. Sie greift nach dem Staubsauger, welcher in meinem Zimmer steht und schlägt mir mit dem Stabende immer wieder auf die Füße. Sie pinkelt sich ein.
Ich sehe sie wohl ein bisschen zu entsetzt an, denn sie schreit mich an:
"Was guckst du so du Hure? Trink meine Pisse!"
Sie zieht ihre Hose aus. Ich halte schützend meine Hände über mich, schreie sie an. Sie drückt mich auf den Boden und...pisst mich an. "

Da hören die Erinnerungen an diese Geschichte auf. Es ist nur eine von vielen Erinnerungen die ich nur ungern zurück denke.




Freitag, 29. Mai 2015
Es sind die körperlich schlechten Tage, wo mir auch mal trübe Gedanken kommen. Mir wird immer dann bewusst, wie sehr Seele und Leib doch zusammenhängen und sich gegenseitig beeinflussen.
Aber eigentlich habe ich keine Angst. Nicht vor dem Tod. Eher vor einer Verschlimmerung der Krankheit, neuen Beschwerden und Krankenhaus. Aber eines nach dem anderen.Angst vor dem Tod -
Angst vor dem Sterben habe ich nicht. Das mag mit daran liegen, dass der Tod wieder etwas Abstand von mir genommen hat — mit mir geht es ja aufwärts. Oder zumindest wird es gerade nicht schlimmer. Ich hatte aber auch in der akuten Phase keine Angst vor ihm. Ich staune selber darüber. Vor dem Prozess des Sterbens auf jeden Fall, ja. Und  dem vergessen werden. Das das Leben nur ein gelebtes, echtes Leben ist, wenn man irgendeine Spur in der Geschichte hinterließ, etwas von Bedeutung.

"Wenn sich jeder Mensch auf dieser Erde an 19 Tote erinnert, so würden wir uns an alle Menschen, die jemals gestorben sind, erinnern". Aber manche tote Menschen müssen sich von mehren Lebenden gemerkt werden. Weil "einige Unendlichkeiten größer als andere Unendlichkeiten sind". - August Waters

Aber das Vergessen ist unvermeidlich !!! - und das macht mir Angst. Irgendwann ist man ausradiert aus jeglichen Erinnerungen.  Menschen werden vielleicht irgendwo einmal mein Bild sehen und vielleicht, aber auch nur vielleicht werden sie kurz innehalten und darüber nachdenken, was ich für ein Mensch gewesen sein könnte.  Aber wahrscheinlich - und das ist normal- werden sie es einfach registrieren.  Eine von vielen Toten auf der Welt.

Der Tod ist der Moment, wo ein Mensch nichts mehr selber tun kann.Nun ist man völlig ausgeliefert - doch wem oder was? Der Vernichtung, weil nach dem Tod alles aus ist? Dem großen Unbekannten, weil man nicht weiß, was kommt? Gott, vor dem man Angst hat, weil man ihn nicht kennt? Oder Gott, dem man vertraut, weil man ihn kennt? Oder weil man gar nicht an ihn glaubt. 

Meine Angst entsteht , wenn ich etwas, jemanden oder mich unbedingt festhalten will. Ich habe Angst vor dem Tod, wenn ich mein Leben unbedingt behalten will. Angst vor Verschlimmerung der Krankheit, wenn ich unbedingt mein jetziges Maß an Gesundheit festhalten will. Um mein Kind hätte ich derzeit auch große Angst, wenn ich eines hätte. Da ich keine habe, kann ihnen auch nichts passieren. Klingt logisch. Eine Angst weniger.